Language:
German
Description:
DE
Inhalt
1. Alpinismus, Freundschaft und Geschlecht: Einleitung 9
Alpinismus und Moderne 16
Freundschaft und Geschlecht 28
Diskurs und Hegemonie: Methodologische Überlegungen 38
2. "Wie das Band der Freundschaft sich fest und fester um Jene schlingt, welche gemeinsame Gefahren glücklich überstanden haben": Bergsteiger, Bergführer und der Aufstieg des Männerbunds in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 54
Homosoziale Bergsteigernetzwerke in der Mitte des 19. Jahrhunderts 57
Der Aufstieg der Führerlosen: Freundschaftsversprechen und Abenteuer 74
Autonomie und Gefahr: Der Alleingänger 86
Zwischenfazit: Von der geführten Tour zum Freundesbund 94
3. "Denn wir müssen Hand in Hand gehen, wir alle, die wir da heroben hausen": Der Erste Weltkrieg in den Alpen 97
Offiziere und Soldaten: Militärische Hierarchien und die Kameradschaftserzählung des Ersten Weltkriegs 101
Freiheit und Geborgenheit: Der Gebirgskrieg als Schauplatz autonomen Handelns 105
Zwischenfazit: Der Gebirgskrieger als neuer Prototyp alpinistischer Männlichkeit 108
4. "Und das - und tausend anderes: das heißt Kameradschaft": Bergkameradschaft als Leitbegriff des alpinistischen Diskurses der 1930er Jahre 110
Kameradschaft als Versprechen umfassender Gemeinschaft 114
Die Vergeschlechtlichung der Kameradschaftserzählung und die Geschlechterkameradschaft am Berg 133
Himalajafahrten: Koloniale Nahbeziehungen im Expeditionsbergsteigen 152
Zwischenfazit: Bergkameradschaft als flexible Chiffre des Ein- und Ausschlusses 163
5. "Es ist der Sieg aller, ein Sieg menschlicher Brüderlichkeit": Gemeinschaftsentwürfe im Nachkriegsalpinismus und den 1950er Jahren 166
Nationale Vermächtnisse und internationale Seilschaften 169
Der Einzelne und die Gruppe: De- und Remontagen des Kameradschaftsideals 184
Die Wandlungen des Kameradschaftsideals und die Stabilität der alpinistischen Geschlechterordnung 194
Zwischenfazit: Die Reformulierung der
Kameradschaftsidee 201
6. "Der Weg zum Gipfel ist wie der Weg zu sich selbst - ein Alleingang": Die gegenkulturelle Wende im Bergsport um 1980 203
Bergsteigen als Selbsterfahrungstechnik 207
Gruppendynamiken und Expeditionshierarchien: Gegenkulturelle Reflexionen der Gemeinschaft am Berg 221
Zwischenfazit: Der Bruch mit dem Kameradschaftsideal 235
7. "Ein Team waren wir nur auf dem Papier": Die Grenzen des Autonomieparadigmas in der Bergliteratur der Jahrtausendwende 238
Geld, Erfolg und Zusammenhalt: Expeditionsgruppen im geführten Himalajabergsteigen 242
Familiengeschichten vom Berg 261
Zwischenfazit: Die neue Sehnsucht nach Zusammenhalt 280
8. Abschließende Überlegungen 283
Literatur 295
Abkürzungsverzeichnis 316
Biografisches Verzeichnis 317
Danksagung 332
Wibke Backhaus ist Referentin für Gleichstellung und Diversität der Hochschule Heilbronn.
1. Alpinismus, Freundschaft und Geschlecht: Einleitung
"Es sind nicht nur Geschichten von rauen Abenteuern in unerkundeten Gegenden, in denen Härte und Durchhaltevermögen zählen. Es sind auch Berichte voller Menschlichkeit und echter Freundschaft…" (Mundologia 2012: 40)
Berggeschichten, diese Beobachtung teilt meine Arbeit mit dem oben zi-tierten Werbetext für einenVortragsabend, handeln nicht nur vom einsa-men Kampf eines oder einer Einzelnen gegen eine unwirtliche Natur. Eng mit der Sehnsucht nach Abenteuer, Naturerlebnis und einem Ort außer-halb der ›erkundeten‹ Zivilisation verbunden ist die Idee einer zwischen-menschlichen Nähe, die dort und nur dort erfahren werden kann. Eine raue Natur, so die Botschaft, erfordere und bedinge eine "Menschlich-keit", die im Hochgebirge im Extrem erfahrbar werde.
Bergsteigen eignet sich offenbar auf besondere Weise für die Projektion von Gemeinschaftssehnsüchten und Entwürfe idealer Subjekti-vität. Dieser Dimension alpinistischer Selbst- und Fremddeutungen geht die vorliegende Arbeit nach. Sie befragt die alpine Literatur eines Zeitraums von circa 150 Jahren daraufhin, wie in ihr und mit ihrer Hilfe soziale Nahbeziehungen am Berg verhandelt werden und arbeitet die ver-geschlechtlichten Implikationen dieser Verhandlungen heraus. Als Material dienen mir deutschsprachige Bergbücher - oft reich bebilderte Tourenberichte, in denen Bergsteiger/innen und Alpinjournalist/innen von Reisen in die Gebirge der Welt erzählen. Historischer Ausgangspunkt der diskursanalytischen Untersuchung ist die Phase der Gründung der ersten alpinen Vereinigungen und Erstersteigungen der hohen Alpengipfel um 1860. Ausgehend von den Schilderungen dieser Alpenreisenden des ›klassischen Alpinismus‹ (zur Periodisierung vgl. Perfahl 1984: 74ff.) verfolge ich dann die Verhandlungen sozialer Nahbeziehungen am Berg durch das 20. Jahrhundert hindurch.
Überraschenderweise ist das Freundschaftsmotiv in wissenschaftlichen Reflexionen des Phänomens Alpinismus selten zum Gegenstand gewor-den. Das mag am unübersichtlichen Stand der Freundschaftsforschung liegen, die sich nur schwer auf gemeinsame Leitfragen, Begriffe und theo-retische Modelle festlegen lässt. Vor allem ist diese Leerstelle aber wohl in der unmittelbaren Plausibilität der alpinistischen Freundschaftserzählung selbst begründet: Erfahren die Akteur/innen in gefährlichen Situationen doch eine unmittelbare Abhängigkeit von ihren Kletterpartner/innen. Todesgefahr und Abgeschiedenheit, Knappheit von Lebensmitteln, Medi-kamenten oder Sauerstoff aber auch die Enge im Zelt und die Notwendigkeit, gemeinsame Entscheidungen zu treffen, prägen die Gemeinschaftserfahrung am Berg. Zusammenhalt und gegenseitiges Ver-trauen sind für das Gelingen der Unternehmungen unabdingbar; der Tod von Seilgefährt/innen oder Situationen, in denen das eigene Leben von der Hilfe anderer abhängig ist, gehören für diejenigen, die extreme Varianten des Bergsports betreiben, zum Erleben am Berg dazu.
Dennoch ist die Idee eines besonderen Gemeinschaftserlebens am Berg keinesfalls ein unmittelbares Ergebnis der Lebensgefahr oder des Aufenthalts in unwirtlichen Gegenden. Sie hat ihre eigene Geschichte, die mit sich wandelnden sportlichen Praxen und Veränderungen in der Zusammensetzung von Expeditionsgruppen verbunden ist; sie legitimiert, erklärt und ermöglicht diese Veränderungen. So wenig selbstverständlich wie die Annahme, dass Lebensgefahr und Entbehrungen zu harmonischer "Menschlichkeit und echter Freundschaft" führen - im Gegenteil: die Ge-schichte der Freundschaft am Berg wird sich auch als Geschichte des Erzählens und Verschweigens von Konflikten entpuppen -, so wenig selbstverständlich ist die Annahme, dass es sich hierbei um einen erzäh-lenswerten Kern des Bergerlebnisses handelt. Auf welche Weise zwischen-menschliche Nähe am Berg thematisiert oder verschwiegen wird, zwischen wem sie denkbar scheint oder sogar eingefordert wird, wie sie benannt wird, welche Formen sie annimmt und auf welche Weise sie sich in den Erzählungen der Bergsteiger/innen jeweils beweist, erzählt viel über alpinistische Selbstverständnisse und Ideale.
Im Zentrum meiner Analyse der Verhandlungen sozialer Nahbe-ziehungen am Berg steht dabei die Frage nach der Vergeschlechtlichung der alpinistischen Freundschaftserzählung. Auch im obigen Zitat verweisen "Härte und Durchhaltevermögen" auf ein vergeschlechtlichtes Stereotyp der beim Bergsteigen verlangten Qualifikationen. Alpinistische Männlichkeitsentwürfe der Gegenwart behaupten sich meist gegen solche Annahmen ›harter Männlichkeit‹:
"Das ist ein Klischee, ein völlig falsches Bild. Natürlich hängt es mit der Bergstei-gerei zusammen. Der Bergsteiger ist ein ›harter Mann‹. Auch der Typus Natur-mensch ist immer noch machobesetzt. Aber ich bin nicht so." (Messner 1996: 82)
Reinhold Messners "immer noch" verweist auf eine Vergangenheit, in der die Verknüpfung von Bergsteigen mit einem Ideal männlicher Härte selbstverständlich gewesen sei. Tatsächlich gilt das Bergsteigen in weiten Teilen des hier untersuchten Zeitraums als besonders männliche Angele-genheit. Insbesondere in der Zwischenkriegszeit charakterisieren Risikobe-reitschaft, Durchhaltevermögen, das Antreten gegen einen als ›Gegner‹ imaginierten Berg oder die ›Eroberung‹ unbekannten Territoriums den Bergsteiger entlang kriegerischer Ideale. Diese symbolische Verknüpfung von Bergsteigen und Männlichkeit ist an einen Ausschluss von Frauen ge-bunden, der vielfältige Formen annehmen kann: Bergsteigerinnen werden Vereinsmitgliedschaften verweigert und Expeditionseinladungen versagt, ihre Fähigkeiten werden infrage gestellt oder lächerlich gemacht, die Pu-blikation ihrer Tourenberichte erfolgt gar nicht oder nur anonym (vgl. z. B. Wirz 2007; Runggaldier 2011). Die Freundschaft am Berg ist in die-sem Kontext nicht einfach die milde Seite des Abenteuers, sondern (zum Beispiel in Form männerbündischer Zusammenschlüsse) Medium des Ausschlusses. Als Grenzen überschreitende, persönliche Bindung kann sie aber, das wird die Untersuchung gleicherweise zeigen, auch Chancen der Teilhabe eröffnen.
Die Prinzipien des ›heroischen Alpinismus‹ der Zwischenkriegszeit, Vorstellungen von Kampf und Opfer am Berg, gelten spätestens mit dem Aufkommen der Sportkletterbewegung in den 1970er Jahren als überholt. Damit scheint auch die Entwicklungsgeschichte einer überwundenen oder in Überwindung begriffenen Männerdominanz im Bergsport unmittelbare Plausibilität zu besitzen. Der Alpinhistoriker Peter Grupp (2008) bei-spielsweise versteht die Geschichte des Frauenbergsteigens als "Kapitel der Emanzipation der Frau von der traditionellen Rolle des Heimchens am Herde" (ebd.: 236). Ernst Hanisch schreibt in seiner Geschichte der Männlichkeiten (2005), die dem Alpinismus immerhin ein eigenes Kapitel widmet, dass dieser in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seinen "männlichen Charakter stark eingebüßt" habe und zum "Familiensport" geworden sei (ebd.: 402). Victoria Robinson (2008) erklärt das Anliegen ihrer Studie über männliche Identitäten im Felsklettern als Interesse an der "intersection between hegemonic or traditional masculinity, and the challenges of new masculinities in non-mainstream sports" (ebd.: 22). S
Subject(s):
Geschlechtergeschichte ; Bergsteigen ; Freundschaft ; Deutscher Alpenverein ; Kameradschaft ; DAV ; Geschichte ; Geschlecht ; Bergbücher ; Alpinismus
ISBN:
3593505746
ISBN:
9783593505749
ISBN:
9783593435381
ISBN:
3593435381
Source:
Alma/SFX Local Collection
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